Offener Brief an Matern v. Marschall (CDU) MdB
Hallo Herr
v. Marschall.
Ich weiß
nicht, ob Sie mich kennen?
Mein Name
ist Martin Schweizer. Ich bin 51 Jahre alt und in Holzhausen aufgewachsen. Dort
war ich unter anderem Ortschaftsrat und Gemeinderat und als erster Nachfolger
von Bernhard Gutmann zweieinhalb Jahre Ortsvorsteher. Bis ich der Liebe wegen
nach Hugstetten umgezogen bin. Sollten Sie sich bei mir unsicher sein, ich bin
der Mann an der Seite von Martina Schweizer geb. Graner. Ihreszeichens
Ortschaftsrätin von Hugstetten (seit 25 Jahren), stellv. Ortsvorsteherin und seit Jahrzehnten quasi Mastermind des Jugendzentrums
March. Martina sollten Sie kennen.
Wir haben zwei Söhne: Lucas (12) und Simon (9), wohnen in unserem Haus mit
Garten in Hugstetten, wo wir uns pudelwohl fühlen. Und wir haben nicht vor,
diesen Ort Zeit unseres Lebens nochmal zu verlassen.
Begegnet sind wir uns schon des Öfteren, ohne dass wir allerdings mal
miteinander geredet hätten glaube ich. Sie, der Mann mit Apfel, ich, ein Mann
im Rollstuhl und mit Beatmungsmaske.
Meine Zeit in der Kommunalpolitik hat mich übrigens gelehrt, weniger auf
Politiker zu schimpfen, ich will eigentlich immer zuerst von Kompetenz,
Empathie und Gutem Willen der jeweiligen Person ausgehen, bevor ich lospoltere.
Dieser Vorsatz wurde in den vergangenen Tagen allerdings auf eine harte Probe
gestellt. Mal wieder. Leider mal wieder.
Ich weiß
nicht, ob Sie die Krankheit ALS kennen?
Die amyotrophe
Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung des Nervensystems. "Innerhalb
der Neurologie eine der schwersten Krankheiten überhaupt", sagt Thomas
Meyer von der ALS-Ambulanz an der Charité in Berlin. Wer einmal einen Menschen
mit ALS kennen gelernt habe, den lasse das so schnell nicht mehr los, meint der
Forscher. Betroffen macht, mit welcher Unaufhaltsamkeit und Schwere die
Symptome eintreten. Nach und nach erschlaffen alle willkürlich gesteuerten
Muskeln.
Die Ursache ist ein
fortschreitender Verlust von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark, die für die
Kontrolle der Muskulatur verantwortlich sind. Erhalten die Muskeln keine
Impulse mehr von den Neuronen, wird Gewebe abgebaut, der Muskel wird schwächer,
schwindet – er atrophiert, sagen Mediziner. Wie schnell Nerven und Muskeln
abgebaut werden, ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Deshalb können
keine individuellen Krankheitsprognosen gegeben werden. Die meisten leben nach
der Diagnose noch drei bis fünf Jahre. Jeder zehnte Patient lebt länger als
fünf Jahre, und einige wenige, wie etwa Hawking, sogar mehr als zehn Jahre.
Männer sind etwa
eineinhalbmal so oft betroffen wie Frauen, bei beiden Geschlechtern macht sich
die Krankheit häufig zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr bemerkbar, in jungen
Jahren ist sie dagegen selten. Bei einigen Betroffenen tauchen Muskelschwund,
Steifigkeit und Lähmungen zuerst in den Beinen oder Armen auf. Bei anderen
beginnt es mit Problemen beim Sprechen, Kauen oder Schlucken. Bei jedem sind
nach und nach alle willkürlich gesteuerten Muskeln betroffen. "Die
Patienten sind nicht mehr in der Lage, über Sprache, Gestik oder Mimik mit
ihrer Umgebung zu kommunizieren", sagt Albert Ludolph vom
Universitätsklinikum Ulm. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf ist auch die
Atemmuskulatur geschwächt, ein Tod durch Atemversagen kann eintreten.
Anders als früher oft
angenommen, ist die Störung nicht auf das motorische System im Gehirn
beschränkt: "Bei Patienten ist beispielsweise auch die Funktion des
Stirnhirns und der Substantia nigra betroffen", sagt Ludolph. Die
Veränderungen können sich so auch auf das Gedächtnis oder die Persönlichkeit
auswirken, die Störung in der Substantia nigra erinnert an die
Parkinsonkrankheit.
Und die ALS ist nicht
selten. Pro 100 000 Einwohner erkranken in unseren Breitengraden laut Ludolph
jedes Jahr drei Menschen. Die bedeutet, dass jeder 400. Bürger der
Bundesrepublik Deutschland an ALS verstirbt.
Quelle: spektrum.de, Stand 04.01.2017
Kennen Sie
Jens Spahn?
Bestimmt.
Immerhin wäre der ja beinahe Ihr Chef geworden. Chef der CDU. Der Christlich
Demokratischen Union. Christlich. Hat nicht geklappt, das mit dem Chef. Ist
aber ein anderes Thema.
Er bleibt als Bundesgesundheitsminister weiter in Sorge für die Gesundheit von
uns allen. Zugegeben, kein einfaches Geschäft, geht’s doch nicht zuletzt auch
um ganz viel Geld. Wer dieses Amt annimmt, weiß das aber.
Gesundheitspolitik ist jetzt nicht so Ihr Spezialgebiet, wie ich Ihrer Homepage entnehmen
konnte. Ist auch ok, jeder sollte das machen, was er am besten kann. Bei Jens
Spahn ist das die Gesundheit. Deshalb darf er da auch Gesetze verantwortlich
entwerfen und im Akkord raushauen – egal wie sinnlos oder sinnvoll - und in der
Welt umher fliegen darf er, auf der Suche nach Pflegekräften.
(…) Interessant ist,
dass Spahn inhaltliche Rückschläge in der öffentlichen Debatte kaum belasten.
Während sich andere Politiker im Kampf um einzelne Vorschläge verhaken, perlen
Niederlagen an Spahn ab. Seine Methode ist ein rhetorischer Trick. In fast
jeder Rede betont er, dass er seine Vorschläge schließlich nur zur Diskussion
stelle. Irgendwo, sagt er gern, müsse man ja mal anfangen, und wie genau das
Gesetz am Ende aussieht, darüber könne man noch reden. In der medialen
Wahrnehmung fällt es auf diese Weise auch nicht auf ihn zurück, wenn ganze
Reformen wieder aus seinen Gesetzentwürfen gestrichen werden, weil der
Gegenwind zu groß war. Spahns Argument zieht immer: besser als Stillstand,
besser als nichts.(…)
Mein Problem
kennen Sie vermutlich nicht? Wie auch?
Aktuell habe
ich sogar zwei Probleme.
Erstens: Ich leide an ALS. Volles Programm. Gelähmt im Rollstuhl und seit 4 Jahren beatmet. Bin komplett auf Hilfe angewiesen, betreut von Martina, den Kindern und einem
Intensivpflegedienst 23 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Das ist eine riesige Herausforderung für alle, verbunden mit ganz viel Aufwand,
ohne Frage.
Aber ich bin zuhause, kann direkt teilhaben am Leben meiner Familie, verfolge die Entwicklung meiner Kinder, tanke
Kraft durch ihre Zuneigung, durch ihr für mich da sein. Unsere Familien und Freunde
besuchen mich, ermöglichen Teilhabe auch außerhalb meiner 4 Wände. Auch das
gibt mir Kraft.
Die Pflegekräfte, allesamt ohne Zweifel Fachleute auf dem Gebiet der
Intensivpflege, haben Zeit für meine Pflege und können auf von mir geäußerte
Wünsche eingehen. Anders als im Krankenhaus, wenn Pflege Arbeit im Akkord ist.
Es ist Zeit da, mit dem Patienten mal rauszugehen, mal einen Dialog mit mir oder
Martina außerhalb der Krankheit zu führen. Neudeutsch ist das eine
win-win-Situation, von der am Ende alle profitieren.
Mein zweites
Problem schließlich: Jens Spahn.
Jens Spahn raubt mir derzeit Kraft, die ich andernorts sinnvoller einsetzen
könnte und auch wollte.
Jens Spahn hat ein Gesetz entwerfen lassen, das so nicht geht. Das „Gesetz
zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der
gesetzlichen Krankenversicherung“
Jehns Spahns Gesetzentwurf will u. a.:
„Außerklinische
Intensivpflege soll in der Regel in stationären Pflegeeinrichtungen und
spezialisierten Wohneinheiten erbracht werden. Auch hier gelten strenge
Qualitätsstandards. In Ausnahmefällen besteht auch künftig ein Anspruch auf
Intensivpflege in der eigenen Häuslichkeit, beispielsweise bei minderjährigen
Kindern.“
Konsequenz
für mich: Statt wie bisher in vertrauter Umgebung mit meiner Familie leben zu
können, soll auch ich demnächst in einem Heim landen. Das macht mir Angst!
Große Angst.
Jens Spahn
würde ich gerne vorschlagen, er solle sich einmal in meine Lage versetzen:
Gestraft zu sein mit ALS, gerne auch länger als auf eine Eiskübellänge. Dann
stelle er sich vor, aus seiner vertrauten Umgebung herausgerissen und in ein Pflegeheim zwangsumgesiedelt zu werden. Ohne das, was ihm am wichtigsten ist,
ohne seine Lieben. Und gewiss mit schlechterer Pflege, wenn eine Pflegekraft
dann wieder für 4 Schwerstpflegebedürftige zuständig ist.
Apropos, er solle sich mal überlegen, warum eigentlich die besten
Intensivpflegekräfte den Krankenhäusern und Pflegeheimen mehr und mehr den Rücken
kehren? Warum sie lieber in die 1 zu 1-Pflege bei Pflegediensten gehen,
Gehaltseinbußen eingeschlossen? Ob Jens Spahn dazu eine Idee hat? Glaubt er
wirklich, die kommen alle wieder zurück, wenn Pflegedienste erfolgreich
bekämpft sind? Zitat meiner Pflegerin: „Dann lieber Ikea!“
Jens Spahn
macht auf mich den Eindruck des absoluten Strebers, der auch über Leichen geht.
Und so hart das jetzt auch klingen mag, ich meine es genau so, wie es
geschrieben ist. Einfach mal mit Beatmungspatienten reden, die heute daheim
gepflegt werden, einfach mal fragen: „Würdest
du ins Heim gehen?“ Sie würden staunen, oder auch nicht, wie viele lieber tot
wären.
Ich würde Ihnen antworten Herr v. Marschall: „Seien Sie heute schon ganz herzlich eingeladen zum
fröhlichen Stecker ziehen an dem Tag, wenn Jens Spahn mich aus meinem Zuhause
raus schmeißt. Ins Heim geh ich nicht! Und bringen Sie Herrn Spahn gerne mit!“
Meine Bitte
an Sie als Mitglied von CDU-Fraktion und Bundestag, als „mein“ Vertreter in
Berlin: Tun Sie etwas dafür, dass dieses menschenverachtende Gesetz so nicht verabschiedet wird.
Reden Sie mit Jens Spahn, nehmen Sie Einfluss auf die handelnden Personen. Leiten Sie mein Schreiben weiter an ihn, er darf mir
gerne antworten. Schriftlich, kurz per Email. Rückruf geht leider nicht. Wegen
Maske und so.
Vorab danke
für Ihre Mühe.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit
freundliches Grüßen
Martin
Schweizer
P.S.: Mein überaus komptenter Pflegedienst ist CASA aus Freiburg-Hochdorf
Matern von Marschall (CDU) ist Mitglied
des Bundestages für den Wahlkreis Freiburg. Er wohnt in meiner Heimatgemeinde im Nachbarortsteil. Wir kennen uns wenn überhaupt nur flüchtig, deshalb meine etwas längere Einleitung.
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