Montag, 19. August 2019

Wenn ich nicht mehr schreien kann...

...wer merkt dann, dass beim Transfer meine Zehen eingeklemmt sind?
...wie wissen die Jungs dann, dass "Meine Stunde" an der PS4 vorbei ist?
...wer erklärt dann die Anwendung der Worttafel, so wie ich sie gerne hätte?
...wer zählt dann auf "Eins Zwei Drei", damit die Jungs endlich hören?
...wer scheucht dann die Pfleger, wenn ich Angst davor habe, es könnte sonst etwas daneben gehen?
...wie merkt Physio Stefan, wenn er endgradig überschritten hat?
...wer sagt dann: "Schlaf gut.", "Ich habe euch lieb!", "Ich liebe dich!"?


Mein Schreien ist im übrigen kein Schreien der bekannten Art. Mit der Kraft, die mir das Sprechen abverlangt, könnte ich gesund alle und alles nieder schreien. Diese Kraft erinnert allein mich noch an Schreien, mein Gegenüber empfängt lediglich noch hochfrequentes Krächzen. Wollte ich normal reden, wie früher, hörte man fast gar nichts, ohne meinen quasi Resonanzkörper Beatmungsmaske erst recht nicht. Aber auch wenn es anstrengend ist, auch wenn es sehr viel Geduld von allen erfordert, auch wenn ich respektive wir immer öfter an Wörtern scheitern, es ist immer noch mein Sprechen.
Gänzlich ohne mein Sprechen kann ich mir nicht vorstellen.

Nur, ich muss mich an den Gedanken gewöhnen. Denn ich habe mich entschieden! Entschieden für etwas, das sowieso alternativlos ist auf Dauer: Die invasive Beatmung über die Trachealkanüle.
Und reden und Tracheotomie schließen sich (nahezu) aus.
Wir hatten ein gutes Gespräch mit meinem Pflegedienst. Inzwischen bin ich an einem Punkt angelangt, am dem die nicht-invasive Beatmung über die Maske im Gesicht nicht mehr entscheidend mehr Vorteile bietet. Reden geht zwar noch, alleine, es versteht mich sowieso fast niemand mehr. Und jetzt kann das - wenn ich leben möchte - Unausweichliche noch geplant und ganz bewusst angegangen werden und es muss niemand hopplahopp und von von jetzt auf gleich ganz schnell notfallmäßig operieren.
Ich bin tatsächlich auch froh, diese schwere Entscheidung getroffen zu haben!

Wenn ich danach nicht mehr schreien kann...
...muss ich mir vorher schon Gedanken machen über neue, weitergehende Kommunikationsstrategien!
...entfällt die Maske im Gesicht!
...muss ich nicht mehr aufpassen, einen offenen Nasenrücken zu bekommen!
...können die Zähne wieder in einem Rutsch geputzt, der Bart am Stück rasiert und Kopf und Gesicht gewaschen werden, ohne dazwischen laufend die Maske aufsetzen zu müssen!
...entfällt mein Blähbauch!
...könnte sogar das Atmen wieder einfacher sein, wenn der Bauch unaufgebläht deutlich weniger Zwerchfell und Atmung beeinflusst!
...braucht mir das Verschlucken keine Angst mehr zu machen, weil Verschlucken dann unmöglich sein wird!
...kann ich wieder schlucken trainieren mit der Logopädin und womöglich wieder mehr essen ohne Verschlucken-Angst!
...ist mein Problem mit Zahnarzt sehr viel einfacher zu lösen!
...geht Sonnenbrille tragen wieder!
...gibt's für die Augensteuerung eine Erschwerniss weniger im Gesicht!
...sind Abhusten respektive Absaugen (hoffentlich) besser und kontrollierter zu händeln!
...ist Küssen und Knuddeln und Drücken wieder einfacher, ob senden oder empfangen, zu Begrüßung und Abschied, am Morgen und zur Nacht.

Schreien geht halt nicht mehr!?

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