Samstag, 1. Juni 2019

Premieren

Seit August 2015 kommen Pflegekräfte zu uns ins Haus. Dreieinhalb Jahre lang übernahm ein ambulanter Dienst meine morgendliche Pflege. Die Kirchliche Sozialstation Bötzingen e. V. konnte über diesen langen Zeitraum gewährleisten, mich mit ganz wenig verschiedenen Pflegekräften kontinuierlich und auf sehr hohem Niveau zu betreuen. Abgesehen von gelegentlichen Kämpfen auf Finanzierungs- oder Bürokratieebene, gab es über die "Bötzinger" kein Anlass zur Klage. Ich fühlte mich bei den ausschließlich Damen sehr gut aufgehoben.

Da Bötzingen nur am Morgen kam und ein Tag auch bei mir 24 Stunden hat, blieb noch ganz viel Pflege und Betreuung übrig.
Diesen Part übernahmen meine Schwester Lucia, die beruflich auch in der ambulanten Pflege tätig ist
und vor allem "natürlich" meine Frau. Martina ist leidenschaftliche Floristin, dazu ist sie seit einiger Zeit hauptamtlich in der Jugendarbeit unserer Gemeinde beschäftigt, nachdem sie dieses Feld zuvor mehr als zwanzig Jahre lang ehrenamtlich beackert hat.
Inzwischen könnte sie bedenkenlos auch in der Pflege Schwerstkranker eingesetzt werden. Gut, gelegentlich kann sie etwas - ich sage mal - grob sein, aber eine Ehefrau darf das bei ihrem Angetrauten. 😃
Nichtsdestotrotz beherrscht sie heute viele Handgriffe nicht weniger gut als gelernte Fachkräfte.

Allerdings verpassten wir beinahe den Zeitpunkt, an dem Martina (und auch meine Schwester) an die Grenze ihrer Belastbarkeit kamen. Das sah auch schon länger mein Physiotherapeut Stefan Brüggemann. Er war dann auch maßgeblich verantwortlich dafür, dass wir uns gegen Ende 2018 mit einem Intensivpflegedienst im Allgemeinen und mit CASA im Speziellen beschäftigten.

Unsere finanziellen Bedenken konnten glücklicherweise rasch ausgeräumt werden: Bei dem gewählten Modell der 23-stündigen Pflege trägt die Krankenkasse die Kosten, die über den Betrag hinaus gehen, den die Pflegeversicherung übernimmt. An uns bleibt wie schon bei der ambulanten Pflege ein monatlicher Betrag von lediglich 30 bis 40 € hängen. Das ist mehr als okay für uns.

Schwieriger auszuräumen, sind die Bedenken, wenn man sich klar macht, dass wir mit CASA künftig rund um die Uhr fremde Menschen in unserem Haus, unserer Privatsphäre, unserem Leben haben. Nicht, dass wir ungern Menschen um uns rum hätten, deren Wahl sollte aber uns überlassen sein und nicht einer Zwangslage wie der unsrigen geschuldet sein.
Am Ende hatten wir aber keine Wahl und verpflichteten CASA zum 1. Februar 2019.

Es kamen damit turbulente, anstrengende, ernüchternde, aber auch ermutigende und schon mal erste entspanntere Tage und Wochen.
Waren wir von Bötzingen wenige Leute, die die Abläufe kannten, gewohnt, kamen nun viele Pflegerinnen und Pfleger, die das ganze Programm inklusive meiner Eigenheiten und Sonderwünsche erst einmal verinnerlichen mussten.
Jetzt, nach 4 Monaten, haben wir einen ersten, festen Stamm von Leuten, die tolle Arbeit abliefern, sie bringen uns immer öfter entspannte Momente. Rund läuft trotzdem noch nicht alles und es dauert wohl tatsächlich die von CASA immer angekündigten "5 bis 6 Monate bis die Versorgung richtig läuft".
Manchmal hakt es noch an der CASA-internen Kommunikation, wenn zum Beispiel Dinge mit einem Teil der Leitung besprochen und beschlossen werden, der andere Teil grad andersrum handelt, weil die Absprachen nicht bekannt waren. Da ist noch Luft nach oben.

Blicke ich zurück auf die vergangenen 4 Jahre, zähle ich inzwischen 24 Damen und Herren, die in meiner Pfleg tätig waren und noch sind. Zuzüglich Martina und Lucia.
Bei lediglich einer Dame war uns an ihrem ersten Tag schon klar, dass ihr zweiter gleichzeitig ihr letzter sein würde. Mit einer weiteren Pflegerin einigten wir uns nach einigen Einsätzen einvernehmlich auf ein heraus nehmen aus der Versorgung. Sie verstand mich fast überhaupt nicht und war zudem nur für relativ wenige Einsätze bei mir vorgesehen. Keine guten Voraussetzungen, um dauerhaft mit mir klar zu kommen.
Alle anderen kommen mit mir, mit uns klar. Und wir mit ihnen. Es passt!
Außer dann doch noch eine dritte Dame, die 2 Monate lange ziemlich oft bei mir war. Mit ihr erlebte ich so viele Premieren, dass ich zum Schluss regelrecht Angst vor ihrer nächsten Premiere hatte.
Die Premieren chronologisch:

24.04.2019      Gefährliche Situation mit dem Lifter, als eine Schlaufe kurz davor war, sich vom Haken zu lösen, als ich am Lifter hing. Zum ersten Mal in fast 4 Jahren hatte ich am Lifter hängend Angst, erstmals empfand ich es als gefährlich.

13.05.2019      Anruf beim Hausarzt ohne jede Not, kein Notfall, und ohne mit uns Rücksprache zu halten. Sehr ärgerlich!

14.05.2019      Hand / Finger äußerst schmerzhaft  umgebogen beim raus nehmen des Tragetuches, Bluterguss und tagelange Schmerzen als Folge

15.05.2019      Gespräch gesucht (meinerseits zum Einstieg schriftlich, weil mündlich kaum mehr geht)

Hallo xxx,
ich muss das jetzt loswerden.


Die Geschichte jetzt mit dem Finger, die Geschichte mit dem Lifter vor ein paar Wochen, als ich nur mit viel Glück heil blieb, beides beschäftigt mich. 

Seit bald 4 Jahren werde ich geliftet (4 mal am Tag, insgesamt > 5000 mal), immer wieder mal war eine Schlaufe falsch oder ich hab den Fuß oder Arm angeschlagen, das war auch unangenehm, aber nie, wirklich noch nie war es gefährlich. Bis vor kurzem eben…

Nichts für ungut, aber ich habe den Eindruck, dass du manchmal nicht richtig bei der Sache bist, dass du unkonzentriert bist? Sei mir nicht böse, wenn ich so offen bin, aber verstehe mich bitte, wenn ich Angst davor habe, was als nächstes kommt, wenn es nicht besser wird. Das all das keine Absicht ist oder ehrlich gemeinte Entschuldigungen danach helfen nicht, wenn ich (beispielhaft) eine Gehirnerschütterung habe oder meine Hand überhaupt nicht mehr nutzen kann.

                        Antwort: „Fehler können und werden immer mal passieren. Jedem“


19.05.2019      zu xxx habe ich mir überlegt.

Wenn sie sagt, sie wisse, dass sie manchmal etwas unkonzentriert wäre und dass solche „Unfälle“ wie mit dem Lifter oder dem Finger trotzdem jeden passieren könnten, das kann und will ich überhaupt nicht akzeptieren. Ich sag dem Bauherren ja auch nicht, kann jedem mal passieren, dass ein Gebäude zusammen bricht.

21.05.2015      Beim Transfer den Fuß eingeklemmt. Mein Schreien macht xxx hektisch, in der Folge kippt der Wasserbehälter der Beatmung um, es läuft Wasser über den Schlauch ins Gerät. Weil mich das beim Atmen deutlich behindert, verlange ich mein Zweitgerät, worauf xxx zuerst mit Unverständnis reagiert. Mit Martinas Hilfe – von der Arbeit gerufen - geht’s dann wieder. Weil sich das Gerät auch in der Folge im Betrieb anders anhörte, wurde ResMed kontaktiert, die das Gerät austauschten.

                        Konfliktgespräch danach: Bei uns könne man nur unter großem Druck („Stuhlgang“) arbeiten, dann passieren solche in ihren Augen unvermeidliche Fehler.

                        Beim Transfer ins Bett bemerkt der Physiotherapeut den Stahlhaken im Bett, an dem normalerweise der Urin-Beutel am Rolli aufgehängt wird. Den Urin-Beutel für den Transfer hat xxx vorbereitet.


22.05.2019      Morgendliche Spritze vergessen. Erst mal nicht schlimm, fast jeder hat bei mir schon mal etwas vergessen. Aber ich bin ja auch noch da. J

Dass sie mich nicht verstand, als ich deswegen ein paar Male „Spritze“ sagte, das kann ich verstehen. Eindeutig verstanden hatte sie mich aber, als ich ihr sagte, sie habe was vergessen. Auf die Spritze kam sie auch dann noch nicht.



Sie ist seit gestern nicht mehr im Team!

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